Nein, bei uns im Dorf gab es keine Juden, so wurde es mir als Jugendlicher berichtet, als ich nach dem Holocaust fragte. Im Nachbarort und in der nächst größeren Stadt wohl, aber bei uns nicht.
Doch das stimmt nicht, wie der Historiker und lokale Geschichtsforscher Reinhard Mohr in den letzten Jahren herausgefunden hat.Dr. Winfried Selbiger, Sohn eines jüdischen Apothekers aus Düsseldorf, hatte sich Anfang der 1930er Jahre bei uns im Dorf niedergelassen, um hier als Allgemeinmediziner zu praktizieren.
Und auch er blieb von der Judenverfolgung ab 1933 nicht verschont. „Verfolgt, vertrieben, nach Tansania ausgewandert, zurückgekehrt, nicht entschädigt, im Nachkriegsdeutschland gescheitert und unter tragischen Umständen im Jahre 1954 ums Leben gekommen“, so lässt sich das Leben des jüdischen Arztes zusammenfassen.
Es waren Bürger unseres Dorfes, Mitglieder der SA, die Selbiger misshandelt, eingesperrt und nach seiner Entlassung aus der „Schutzhaft“ nicht wieder zurück in seine Wohnung und in seinen Beruf gelassen haben. An diese Täter aus unserer Mitte möchte man sich heute nicht mehr gern erinnern.
Doch nun erinnert wenigstens ein Gedenkstein an das Opfer. Initiiert von Historiker Mohr und Schülern der Gesamtschule Büttgen, verlegt von Künstler Gunter Demnig, der seit 1996 mehr als 90.000 solcher Stolpersteine in Deutschland und Europa als Erinnerungsstätten ausgebracht hat.
Auf meinen ausgedehnten Womo-Reisen in Deutschland habe ich viele Stolperstein entdeckt, beinahe überall, wo ich unterwegs war. Oft habe ich mir die Zeit genommen, die Inschriften mit den biografischen Daten der Opfer aufmerksam zu lesen und fast immer hat es mich erschaudert und beschämt, welches Leid hier unschuldigen Menschen angetan wurde.
Großen Respekt für den Künstler Gunter Demnig, der sich dieses Projekt zur Lebensaufgabe gemacht hat und es als Soziale Plastik im Sinne von Josef Beuys verstanden wissen will.