Archiv der Kategorie: Lyrik

Heinrich Heine: Auf Flügeln des Gesanges

Heinrich Heine, 1834, gelernt Oktober 2021

Auf Flügeln des Gesanges,
Herzliebchen, trag‘ ich dich fort,
Fort nach den Fluren des Ganges,
Dort weiß ich den schönsten Ort.

Dort liegt ein rotblühender Garten
Im stillen Mondenschein;
Die Lotosblumen erwarten
Ihr trautes Schwesterlein.

Die Veilchen kichern und kosen,
Und schau nach den Sternen empor;
Heimlich erzählen die Rosen
Sich duftende Märchen ins Ohr.

Es hüpfen herbei und lauschen
Die frommen, klugen Gazell’n;
Und in der Ferne rauschen
Des heiligen Stromes Well’n.

Dort wollen wir niedersinken
Unter dem Palmenbaum,
Und Lieb‘ und Ruhe trinken
Und träumen seligen Traum.

( MITI )

Hermann Hesse: Nebel

Hermann Hesse, 1911, gelernt September 2021

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Einsam ist jeder Busch und Stein,
Kein Baum sieht den andern,
Jeder ist allein.

Voll von Freunden war mir die Welt,
Als noch mein Leben licht war;
Nun, da der Nebel fällt,
Ist keiner mehr sichtbar.

Wahrlich, keiner ist weise,
Der nicht das Dunkel kennt,
Des unentrinnbar und leise
Von allen ihn trennt.

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Leben ist Einsamsein.
Kein Mensch kennt den andern,
Jeder ist allein.

( MITI )

Friedrich Hebbel: Ich und du

Friedrich Hebbel, 1851, gelernt September 2021

Wir träumten voneinander
Und sind davon erwacht,
Wir leben, um uns zu lieben,
Und sinken zurück in die Nacht.

Du tratst aus meinem Traume,
Aus deinem trat ich hervor,
Wir sterben, wenn sich eines
Im andern ganz verlor.

Auf einer Lilie zittern
Zwei Tropfen rein und rund,
Zerfließen in eins und rollen
hinab in des Kelches Grund.

( MITI )

Heinz Erhard: Der Kabeljau

(Foto: August Linnman from Stockholm, Sweden | http://commons.wikimedia.org | Lizenz: CC BY-SA 2.0)

Heinz Erhard, 1954, gelernt August 2021

Das Meer ist weit, das Meer ist blau
im Wasser schwimmt ein Kabeljau.

Da kommt ein Hai von ungefähr
ich glaub von links, ich weiß nicht mehr,
verschluckt den Fisch mit Haut und Haar,
das ist zwar traurig, aber wahr.

Das Meer ist weit, das Meer ist blau
im Wasser schwimmt kein Kabeljau.

( MITI )

Karl May: Ich fragte zu den Sternen

Karl May, 1883, gelernt August 2021

Ich fragte zu den Sternen
Wohl auf in stiller Nacht,
Ob dort in jenen Fernen
Die Liebe mein gedacht.
Da kam ein Strahl hernieder,
Hell leuchtend, in mein Herz
Und nahm all meine Lieder
Zu dir, Gott, himmelwärts.

Ich fragte zu den Sternen
Wohl auf in stiller Nacht,
Warum in jene Fernen
Er sie emporgebracht.
Da kam die Antwort nieder:
»Denk nicht an irdschen Ruhm;
Ich lieh dir diese Lieder;
Sie sind mein Eigenthum!«

Ich fragte zu den Sternen
Wohl auf in stiller Nacht:
»Gilt dort in jenen Fernen
Auch mir die Himmelspracht?«
Da klang es heilig nieder
»Du gingst von hier einst aus
Und kehrst wie deine Lieder
Zurück ins Vaterhaus!«

( MITI )

Heinrich Heine: Wenn ich in deine Augen seh‘

Heinrich Heine, 1834, gelernt August 2021

Wenn ich in deine Augen seh‘,
So schwindet all mein Leid und Weh‘,
Doch wenn ich küsse deinen Mund,
So wird ich ganz und gar gesund.

Wenn ich mich lehn‘ an deine Brust,
Kommt’s über mich wie Himmelslust;
Doch wenn du sprichst: „Ich liebe dich!“
So muß ich weinen bitterlich.

( MITI )