Archiv der Kategorie: Lyrik

Joachim Ringelnatz: Die Briefmarke

Joachim Ringelnatz, 1909, gelernt August 2021

Ein männlicher Briefmark erlebte
was Schönes, bevor er klebte.
Er war von einer Prinzessin beleckt
Da war die Liebe in ihm erweckt.

Er wollte sie wiederküssen
Doch hat er verreisen müssen
So liebte er sie vergebens
Das ist die Tragik des Lebens.

( MITI )

Heinrich Heine – Der Brief, den du geschrieben


Heinrich Heine, 1834, gelernt August 2021

Der Brief, den du geschrieben,
er macht mich gar nicht bang;
du willst mich nicht mehr lieben,
aber dein Brief ist lang.

Zwölf Seiten, eng und zierlich!
Ein kleines Manuskript!
Man schreibt nicht so ausführlich,
wenn man den Abschied gibt.

( MITI )

Erich Müsham: Grete

Erich Müsham, 19091, gelernt Juli 2021

Als ich dich fragte: Darf ich Sie beschützen?
Da sagtest du: Mein Herr, Sie sind trivial.
Als ich dich fragte: Kann ich Ihnen nützen?
Da sagtest du: Vielleicht ein andres Mal.

Als ich dich bat: Ein Kuss, mein Kind, zum Lohne!
Da sagtest du: Mein Gott, was ist ein Kuss?
Als ich befahl: Komm mit mir, wo ich wohne! –
Da sagtest du: Na, endlich ein Entschluss!

( MITI )

Wilhelm Busch: Sie war ein Blümlein

Wilhelm Busch, 1895, gelernt Juli 2021

Sie war ein Blümlein hübsch und fein,
Hell aufgeblüht im Sonnenschein.
Er war ein junger Schmetterling,
Der selig an der Blume hing.

Oft kam ein Bienlein mit Gebrumm
Und nascht und säuselt da herum.
Oft kroch ein Käfer kribbelkrab
Am hübschen Blümlein auf und ab.

Ach Gott, wie das dem Schmetterling
So schmerzlich durch die Seele ging.

Doch was am meisten ihn entsetzt,
Das Allerschlimmste kam zuletzt.
Ein alter Esel fraß die ganze
Von ihm so heißgeliebte Pflanze.

( MITI )

Charlotte v. Ahlefeld: Sehnsucht nach den Bergen


Charlotte v. Ahlefeld, 1823, gelernt Juli 2021

Auf den Gipfeln erhabener Berge
Dünken die Sorgen der Erde mir Zwerge,
Wenn sie im Tale als Riesen mir drohn.

Dort erheben die ernsten Gedanken
Sich über des Schicksals drückende Schranken,
Mutig dem Dunstkreis der Tiefe entflohn.

O Ihr geliebten, Ihr herrlichen Höhen,
Werd‘ ich im Schmerz des Verlangens vergehen,
Ehe mein Auge Euch wieder begrüßt?

Wenn ich auf öder und formloser Heide
Einsam die Qualen der Sehnsucht erleide,
Wird es mir nimmer durch Hoffnung versüßt?

Möchte auf Bergen, näher den Sternen,
Näher des Mondes ewigen Fernen,
Nahe dem prächtigen Himmelsgezelt,
Einst mir erscheinen die lächelnde Hore,
Die mir eröffnet die goldenen Tore
Einer zweiten, besseren Welt

( MITI )

Hanns von Gumppenberg: Abend im Park

Hanns von Gummpenberg, 1904, gelernt Juni 2021

Sommerabend liebt das Schweigen
Nach des Tages Lärm und Gier:
Stille dunkle Wipfel steigen
In den Himmel von Saphir.

Doch darunter flüstern Paare
Von dem Glück der Dämmernacht,
Bis der Liebe süße Ware
Wieder an den Mann gebracht,

Bis die Müden ruhn vom Reigen
Selig unter Baum und Strauch –
Sommerabend liebt das Schweigen:
Liebe liebt es endlich auch.

( MITI )