Archiv der Kategorie: Lyrik

Erich Mühsam: Bonzenblues

von Erich Mühsam, 1926, gelernt April 2021

Sei dankbar, Volk, den Edlen, die dich leiten,
der Obrigkeit, die stets dein Heil bedenkt.
Willst du dir selber dein Geschick bereiten,
bald wär die Karre in den Sumpf gelenkt.
Was weißt denn du, was für dein Wohlsein nötig ist?
Das Volk gehorche, weil es brägenklötig ist.
Der höhern Einsicht füge dich beizeiten,
und frag nicht lang, warum der Staat dich hängt

Vertraue, Volk, den Bonzen der Parteien,
geborgen ist dein Glück in ihrem Schoß.
Wenn du sie wählst, wolln alle dich befreien,
wenn sie gewählt sind, melken sie dich bloß.
Stell dir doch vor, wenn niemand dich regieren soll,
wovon dein Bonze dann noch existieren soll.
Der ganze Landtag müßt vor Hunger schreien.
Selbst die Abortfrau wäre arbeitslos.

Die Bonzen sind, o Volk, die Jungs im Skat,
verhängen Steuern über dich und Strafen,
und wenn du aufmuckst, dann ist’s Hochverrat.
Sie merken nie, wenn alles auf der Kippe steht,
sie merken immer, wo noch eine Krippe steht,
doch du, o Volk, du kannst geruhsam schlafen.
Die Bonzen wachen, ja es wacht der Staat.

( MITI )

Heinrich Hoffmann: Der erste Ostertag

Heinrich Hoffmann, 1842, gelernt April 2021

Fünf Hasen, die saßen
beisammen dicht,
Es macht ein jeder,
ein traurig Gesicht.

Sie jammern und weinen:
Die Sonn‘ will nicht scheinen!
Bei so vielem Regen
Wie kann man da legen
Den Kindern das Ei?
O weih, o weih!

Da sagte der König:
So schweigt doch ein wenig!
Lasst Weinen und Sorgen
Wir legen sie morgen!

( MITI )

Erich Mühsam: Ich bin ein Pilger

Erich Mühsam, 1919, gelernt März 2021

Ich bin ein Pilger, der sein Ziel nicht kennt;
der Feuer sieht und weiß nicht, wo es brennt;
vor dem die Welt in fremde Sonnen rennt.

Ich bin ein Träumer, den ein Lichtschein narrt;
der in dem Sonnenstrahl nach Golde scharrt;
der das Erwachen flieht, auf das er harrt.

Ich bin ein Stern, der seinen Gott erhellt;
der seinen Glanz in dunkle Seelen stellt;
der einst in fahle Ewigkeiten fällt.

Ich bin ein Wasser, das nie mündend fließt;
das tauentströmt in Wolken sich ergießt;
das küßt und fortschwemmt, weint und froh genießt.

Wo ist, der meines Wesens Namen nennt?
Der meine Welt von meiner Sehnsucht trennt?
Ich bin ein Pilger, der sein Ziel nicht kennt

( MITI )

Christian Morgenstern: Das Wörtlein

Christian Morgenstern, 1906, gelernt März 2021

Kürzlich kam ein Wort zu mir,
staubig wie ein Wedel,
wirr das Haar, das Auge stier,
doch von Bildung edel.

Als ich, wie es hieße, frug,
sprach es leise: „Herzlich“.
Und aus seinem Munde schlug
eine Lache schmerzlich.

„Wertlos ward ich ganz und gar,“
rief’s, „ein Spiel der Spiele,
Modewort mit Haut und Haar,
Kaviar für zu viele.“

Doch ich wusch’s und bot ihm Wein,
gab ihm wieder Würde,
und belud ein Brieflein fein
mit der leichten Bürde.

Schlafend hat’s die ganze Nacht
weit weg reisen müssen.
Als es morgens aufgewacht,
kam ein Mund – es küssen.

( MITI )

Christian Morgenstern: Es ist Nacht

Christian Morgenstern, 1904, gelernt März 2021

Es ist Nacht,
und mein Herz kommt zu dir,
hält’s nicht aus,
hält’s nicht aus mehr bei mir.

Legt sich dir auf die Brust,
wie ein Stein,
sinkt hinein,
zu dem deinen hinein.

Dort erst,
dort erst kommt es zur Ruh,
liegt am Grund
seines ewigen Du.

( MITI )

Novalis: Es färbte sich die Wiese grün

Novalis, 1803, gelernt März 2021

Es färbte sich die Wiese grün
Und um die Hecken sah ich blühn,
Tagtäglich sah ich neue Kräuter,
Mild war die Luft, der Himmel heiter.
Ich wusste nicht, wie mir geschah,
Und wie das wurde, was ich sah.

Und immer dunkler ward der Wald
Auch bunter Sänger Aufenthalt,
Es drang mir bald auf allen Wegen
Ihr Klang in süßen Duft entgegen.
Ich wusste nicht, wie mir geschah,
Und wie das wurde, was ich sah.

Es quoll und trieb nun überall
Mit Leben, Farben, Duft und Schall,
Sie schienen gern sich zu vereinen,
Dass alles möchte lieblich scheinen.
Ich wusste nicht, wie mir geschah,
Und wie das wurde, was ich sah.

So dacht ich: ist ein Geist erwacht,
Der alles so lebendig macht
Und der mit tausend schönen Waren
Und Blüten sich will offenbaren?
Ich wusste nicht, wie mir geschah,
Und wie das wurde, was ich sah.

Vielleicht beginnt ein neues Reich
Der lockre Staub wird zum Gesträuch
Der Baum nimmt tierische Gebärden
Das Tier soll gar zum Menschen werden.
Ich wusste nicht, wie mir geschah,
Und wie das wurde, was ich sah.

Wie ich so stand und bei mir sann,
Ein mächtger Trieb in mir begann.
Ein freundlich Mädchen kam gegangen
Und nahm mir jeden Sinn gefangen.
Ich wusste nicht, wie mir geschah,
Und wie das wurde, was ich sah.

Sie ging vorbei, ich grüßte sie,
Sie dankte, das vergess ich nie.
Ich musste ihre Hand erfassen
Und Sie schien gern sie mir zu lassen.
Ich wusste nicht, wie mir geschah,
Und wie das wurde, was ich sah.

Das ist der Frühling fiel mir ein.
Kurzum, ich sah, daß jetzt auf Erden
Die Menschen sollten Götter werden.
Nun wußt ich wohl, wie mir geschah,
Und wie das wurde, was ich sah.

( MITI )