Blick vom Stellplatz auf die Altstadt mit dem Dom St. Petri (links) und der Ortenburg (rechts). Darunter das Spreetal.
Ich bin erneut für eine Nacht nach Bautzen zurückgekehrt, weil man hier auf dem Festplatz so wunderbar ruhig und mit tollem Blick auf die Altstadt kostenlos stehen kann.
Nach Einbruch der Nacht unternehme ich mit Doxi einen Abendspaziergang durch das historische Zentrum. Die Straßen wirken wie leergefegt. Ich rechne fest damit, dass mir hinter der nächsten Ecke der Nachtwächter entgegenkommt. Doch der ist offensichtlich gerade anderweitig beschäftigt. Schade 🙂
Haus Schminke in Löbau gilt als herausragendes Beispiel für „Neues Bauen“ in der Zwischenkriegszeit
Das Schöne am Womo-Reisen ist ja, dass man sich so herrlich treiben lassen kann. Auf dem Weg von Zittau nach Bautzen komme ich durch die Kleinstadt Löbau und entdecke am Straßenrand einen Kulturhinweis (Braunes Schild) auf ein „Haus Schminke“. Spontan muss ich an die berühmten Bauhaus-Bauten „Haus Lange und Haus Esthers“ in Krefeld denken, steige in die Bremsen und folge dem Schild.
Und tatsächlich: Haus Schminke, zwischen einem Kleingartenverein und einem ehemaligen Fabrikgelände gelegen, entpuppt sich als bedeutendes Werk der deutschen Architekturgeschichte.
Es stammt aus der Zwischenkriegszeit zwischen 1914 und 1938 und wurde von dem Architekten Hans Scharoun 1932/1933 im Auftrag des Industriellen-Ehepaars Fritz und Charlotte Schminke errichtet.
In Fachkreisen ist Haus Schminke als Leitbau des Modernismus weithin bekannt, wie ich nun erfahren habe. In seiner architektonischen Qualität und Einzigartigkeit wird es in eine Reihe mit berühmten Bauten von Ludwig Mies van der Rohe, Le Corbusier und Frank Lloyd Wright gestellt.
Scharoun gilt als ein Vertreter der Organischen Architektur. Er berief sich wiederholt auf die Theorien Hugo Härings. Das Haus Schminke nimmt daher eine Gegenposition zu jenen anderen Richtungen innerhalb des Neuen Bauens ein, die dogmatischer an Rechtwinkligkeit und kubischen Formen festhielten.
Leider konnte ich den markanten, lichtdurchfluteten Bau in Stahlskelettbauweise nur von außen besichtigen, noch dazu bei bescheidenen Lichtverhältnissen. Aber auch das Innendesign war für seine Epoche absolut zukunftsweisend, wie ich bei der nachträglichen Recherche erfahren habe.
Weil die Formgebung verschiedene Anspielungen auf Kreuzfahrtschiffe der damaligen Zeit macht und die Bauherren ihr Geld in der Nudelproduktion verdienten, wird der Bau im Volksmund gern als „Nudeldampfer“ bezeichnet. Ein unvermutetes Highlight, tief in der sächsischen Provinz. Schön, dass ich darauf gestoßen wurde.
Görlitz ist die östlichste Stadt Deutschlands und gehört zur sächsischen Lausitz. Früher erstreckte sie das Stadtgebiet links und rechts der Neiße. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die östlich gelegenen Stadtteile polnisch. Heute befindet sich dort die polnische Stadt Zgorzelec, die gemeinsam mit Görlitz seit 1998 eine Europastadt bildet.
Die Neißebrücke zwischen den beiden Städten ist seit dem Zusammenbruch des Sozialismus frei passierbar, es herrscht ein reger Grenzverkehr. Im Zentrum hört man viele polnische Stimmen.
Görlitz prosperierte bereits im frühen Mittelalter aufgrund seiner günstigen geografischen Lage zwischen Ost und West. Im Jahr 1339 erhielt die Stadt das Stapelrecht für eine in ganz Europa nachgefragte Färberpflanze, das Waid, für die Farbe Blau in der Tuchfärbung.
Aufgrund der Monopolstellung für den Waidhandel in den böhmischen Ländern und dank einer florierenden Tuchproduktion wurde Görlitz zur bedeutendsten Handelsstadt zwischen Erfurt und Breslau.
Dies führte immer wieder zu Spannungen mit der südlich gelegenen Handelsstadt Zittau, die sich 1491 im sogenannten „Bierkrieg“ entluden. Erst ein Schlichterspruch des Landvogtes konnte der gewaltsamen Fehde zwischen den benachbarten Städten ein Ende setzen.
Aus dieser Zeit des städtischen Wohlstands stammen viele sehenswerte Bauten im Zentrum von Görlitz, die bis heute erhalten geblieben sind, weil die Stadt im Zweiten Weltkrieg kaum zerstört wurde.
Nach der Deutschen Wiedervereinigung wurden viele dieser Sehenswürdigkeiten aufwändig saniert. In ihnen spiegeln sich alle wesentlichen Phasen der mitteleuropäischen Baustile wider, von der Spätgotik über die Renaissance bis hin zum Barock.
Umgeben ist die Altstadt von ausgedehnten Gründerzeitvierteln. Mit über 4000 großteils restaurierten Kultur- und Baudenkmalen wird Görlitz gerne als das flächengrößte zusammenhängende Denkmalgebiet Deutschlands bezeichnet. Diesem besonderen Stadtbild verdankt Görlitz seinen Status als beliebte und häufig genutzte Filmkulisse.
Auch wenn die Stadt heute mit wirtschaftlichen Problemen aufgrund ihrer Randlage zu kämpfen hat – als Touristenziel ist Görlitz definitiv ein Hit. Das kann ich nun bestätigen.
Dreiländereck an der Neiße von tschechischem Staatsgebiet aus gesehen
Ich mag ja Grenzen. Nicht nur Landesgrenzen, sondern Grenzziehungen ganz allgemein als Konstrukt unseres Geistes, wo hier das eine gilt und dann plötzlich – es ist nur ein kleiner Schritt – etwas ganz anderes.
Heute habe ich das Dreiländereck von Deutschland, der Tschechoslowakei und Polen am Rande von Zittau besucht. Die Neiße bildet hier den Grenzfluss zu den beiden östlichen Nachbarstaaten. Deren Grenze wiederum wird durch einen kleinen Bach gebildet, der am Dreiländereck in die Neiße mündet.
Am besten kommt man dorthin, indem man am Rande von Zittau über die Neiße nach Polen wechselt und dann zu Fuß ein Stück weit dem Flussverlauf in südlicher Richtung folgt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war diese Grenze zwischen den drei sozialistischen Bruderstaaten streng gesichert und für normale Bürger gar nicht zugänglich.
Doch nach der Deutschen Wiedervereinigung und dem Zerfall des Ostblocks hat man den Ort markiert und ein wenig ausgeschmückt. Neben den drei Landesflaggen weht im Mittelpunkt eine Europaflagge.
Auf polnischer Seite gibt es dazu ein überdimensionales Kreuz mit Jesusfigur, auf deutscher Seite ein einfaches Holzkreuz und auf tschechischer Seite eine Stele aus Stein.
Nachdem ich mir das Dreiländereck mit Doxi angeschaut habe, fahre ich kurz rüber nach Polen, um günstig zu tanken und im Supermarkt einige polnische Produkte einzukaufen, die mir von Freunden empfohlen wurden.
Beim Wiedereintritt nach Deutschland erwartet mich hinter der Neißebrück eine mobile Grenzkontrolle der Bundesgrenzschutz. Ich rechne fest damit, als Wohnmobil mit Kennzeichen aus einer fremden Region (und viel Platz für illegale Migranten) angehalten und kontrolliert zu werden, doch ich darf einfach passieren
Zittau ist die südöstlichste Stadt in Sachsen. Sie befindet sich an der Neiße, unmittelbar am Dreiländereck von Deutschland, Polen und der Tschechoslowakei. Die Kernstadt liegt im Zittauer Becken am Fuße des sich südlich anschließenden Zittauer Gebirges.
Das ursprünglich von Slawen besiedelte Gebiet wurde im 10. Jahrhundert deutsch. Im Mittelalter lag Zittau an strategisch günstiger Position zwischen dem prosperierenden Böhmen und der damals brandenburgischen Oberlausitz.
Ab etwa 1680 brachte die Brauerei und die Tuchmacherei der Stadt enormen Wohlstand. Als eine von wenigen europäischen Städten befand sich Zittau zu dieser Zeit im Besitz einer Schnellwaage. Dieses Meisterwerk der Mechanik war so empfindlich, dass bereits ein darauf gelegter Groschen zum Ausschlag führte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es Bestrebungen, Zittau der Tschechoslowakei anzugliedern, doch die Stadt blieb deutsch. Allerdings geriet sie durch die Abtrennung der Verkehrswege nach Polen und in die Tschechoslowakei in eine extreme Randlage. Und das merkt man der Stadt bis heute an, auch wenn die Grenzen seit 1990 wieder offen sind.
„Seil still, oder willst Du nach Bautzen?“ lautete ein geflügeltes Wort in der DDR, das wohl jeder DDR-Bürger kannte. Es bezog sich auf die beiden großen Gefängnisse in der ostsächsischen Stadt, in denen niemand gerne einsitzen wollte.
Bautzen I, das „Gelbe Elend“
Bautzen I, das „Gelbe Elend“, war eine bereits in der Kaiserzeit errichtete Haftanstalt. Überregionale Bekanntheit erlangte Bautzen I als „Speziallager Nr. 4“ der Sowjetischen Militäradministration nach dem Zweiten Weltkrieg und als Synonym für politische Verfolgung in der DDR.
Auch meine Familie aus dem Westen kannte über zwei Ecken entfernte Verwandte aus dem Osten, die dort wegen Republikflucht eingesessen haben.
Aufgrund der unzumutbaren Haftbedingungen brachen dort im März 1950 zwei Häftlingsaufstände aus, die von der Deutschen Volkspolizei brutalst niedergeschlagen wurden.
Im Zuge dieses Aufstandes gelangten zwei Briefe der Häftlinge als Hilferuf in die Bundesrepublik, wo sie von Herbert Wehner beim Parteitag der SPD vorgelesen wurden. Durch diese Briefe wurde die Öffentlichkeit auf Bautzen als Ort politischer Verfolgung aufmerksam.
Bautzen II unterstand ab 1956 bis zum Ende der DDR als Sonderhaftanstalt dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) und wurde zu einem Hochsicherheitstrakt mit 200 Haftplätzen für politische Sondergefangene („Stasi-Knast“) ausgebaut.
Bekannt wurde Bautzen II durch die Unterbringung von Regimekritikern, westdeutschen, ausländischen und prominenten DDR-Häftlingen. Gefangene wurden dabei teilweise nur mit ihrer Nummer angesprochen. 1963 wurde die Anstalt organisatorisch von der Haftanstalt Bautzen I abgetrennt und als eigenständige Strafvollzugsanstalt geführt. Zur Tarnung blieb die Haftanstalt Bautzen II nominell eine Einrichtung des Innenministeriums.
Heute ist in den Gebäuden von Bautzen II die Gedenkstätte Bautzen untergebracht. Sie berichtet über die Geschichte der beiden Gefängnisse, über den Gefangenenalltag dort, die Praktiken und Verhörmethoden der Stasi und lässt Zeitzeugen und ehemalige Inhaftierte zu Wort kommen. Ganz schön gruselig ist das, wenn man heute durch das leere Gefängnis streift.
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